Neulich war ich mit meinem Freund unterwegs, dem Freund, den alle nur den „Weinschwätzer“ nennen, weil er jede Gelegenheit nutzt einem mit seinem Weinwissen zu zutexten. Während unserer Fahrt umschiffte ich also krampfhaft jede Unterhaltung, bei der man unweigerlich um das Wort Wein nicht herumkommt. Ein kurzer Blick auf die Benzinpreise ließ mich spontan in die Tankstelle einbiegen. Als ich nach dem Bezahlen zum Auto zurückkam, sah ich meinen Freund bei geöffneten Fenster und verklärtem Blick, wie er sich mit der Hand Luft von außen zu wedelte.
Kaum losgefahren stöhnte er wohlig: „Herrlich dieser Duft nach gereiften Riesling“. Ich war mir sicher, dass er jetzt völlig durchgedreht ist.
„Es stinkt nach Benzin und Diesel“, wagte ich einzuwenden. Das ließ er natürlich nicht gelten und legte los, mir zu erklären:
Viele Weinliebhaber sind auf der Suche nach Weißweinen, die – natürlich dezent – diesen typischen Geruch und Geschmack nach Benzin aufweisen. Mittlerweile weiß die Weinwissenschaft, dass Weinbeeren, bevorzugt Rieslingbeeren, die während der Reifezeit hoher Sonnenbestrahlung ausgesetzt waren, im Zuge des Reifeprozesses diese besondere Note ausbilden. Deshalb wird in der Fachwelt auch von „Petrolnote“ oder „Petrolton“ gesprochen.
In den Schalen der Beeren bilden sich Caratinoide (je mehr Sonne, umso größer die Bildung von Caratinoiden), die während des Reifeprozesses zu 1,1,6-Trimethyl-1,2-Dihydronaphthalin (TDN) abgebaut werden. TDA verursacht dann diese Geruchs- und Geschmacksnote. Rieslingbeeren bilden von Natur aus höhere Gehalte an Caratinoide aus.
Zu meiner Bewunderung warf er dieses unsägliche 1,1,6-Trimethyl-1,2-Dihydronaphthalin so fließend ein, als würde dieses Wortmonster zum Grundwortschatz jedes Weintrinkers gehören und dozierte weiter:
Im Gegensatz zu Ländern der südlichen Hemisphäre, in denen mit dem Vorhandensein der Petrolnote von den Winzern aktiv geworben wird, versuchen unsere Winzer die Entstehung zu vermeiden. Da wird im Weinberg auf zu starke Entblätterung verzichtet, sodass die Beeren stärker beschattet werden. Auch eine kühle Lagerung des Weines verhindert oder verzögert den Abbau der Caratinoide zu TDA. In den Lehranstalten für Weinbau sollen auch Versuche mit Bakterien unternommen werden, die das TDA abbauen sollen.
Da frage ich ihn, ob wir dann zukünftig mit dem Wein auch gleich die passenden Antibiotika mitgeliefert bekommen. Na ja, ich bin froh, dass mich diese Petrolnote wohl kaum treffen wird. Ich kaufe keinen alten Wein und bei mir wird kein Wein älter als die Zeit, die er vom Weinladen in meinen Kühlschrank braucht.
Weinschwätzer-Fazit:
Für die einen ein gesuchter Genuss, für die meisten anderen ein Weinfehler. Wie so oft bei Wein: Alles eine Frage der Dosis und des persönlichen Geschmacks.
Beitragsfoto: KI-generiertes Bild